29. April 2021
Medien waren sehr früh von dem digitalen Wandel betroffen. Zuerst veränderte sich der Printmarkt, nun sind durch Netflix, YouTube und Spotify auch die elektronischen Medien stark im Umbruch. Die beiden WDR-Direktoren Valerie Weber und Jörg Schönenborn müssen ihr Haus durch dieses unruhige Gewässer manövrieren. Sie initiierten darum das IEB Bootcamp:remote, in dem sich Führungskräfte der Creation Economy mit digitalem Führen und der Transformation des Hauses auseinandersetzten. Karin Bjerregaard Schlüter, Direktorin des Institute of Electronic Business, hat die beiden Führungskräfte zu den Herausforderungen der beidhändigen Führung und zu den Veränderungen des Arbeitens durch die Corona-Pandemie interviewt.
Bjerregaard Schlüter: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht immer unter einem ziemlichen Druck der Öffentlichkeit. Jeder Schritt wird beobachtet und kleinste Änderungen werden diskutiert. Wie können Sie da den WDR digitalisieren?
Schönenborn: Ihre Frage hat zwei Aspekte: das Digitale und den Wandel. Bei beiden sind die mittleren Führungsebenen diejenigen, die den maximalen Druck haben. Von unten: weil die Erwartungen der Mitarbeiter*innen zum Teil sind, dass sich Dinge nicht so schnell ändern, zum Teil fordern sie aber auch einen viel schnelleren digitalen Wandel. Von oben: weil die Führung strategische Veränderungen schnell umsetzen will. Wir haben gemerkt, wie anstrengend und kraftraubend das oft ist und dass wir auch in unseren strategischen Prozessen berücksichtigen müssen: Was können wir zumuten und wie befähigen wir die Kolleginnen und Kollegen auf den Führungsebenen, an der Belastung der Teams nicht zu verzweifeln?
Weber: Also tatsächlich geht es bei der digitalen Sozialisierung von Führungskräften um zwei Aspekte. Digitales Know-how ist bei Führungskräften ein, aber nicht der wichtigste Aspekt. Dafür gibt es Fachexpert*innen, die wissen, wie man neue Plattformen – wie zu Beginn des Jahres Clubhouse – nutzt. Das Eigentliche ist das Mindset. Also schaffe ich es in meinem Bereich so zu führen, dass die Mitarbeiter*innen experimentieren, dass sie Fehler machen dürfen. Das Thema Fehlerkultur spielt eine große Rolle, gerade in Medienbereichen, wo traditionell eine perfekte Sendequalität und Sendesicherheit gewährleistet werden müssen. Es ist ein eigener Motivationspunkt, den Mitarbeiter*innen zu sagen: Seid bereit für Experimente, seid bereit zu scheitern. Und das muss man vorleben, sonst wird dieses digitale Mindset nicht gelebt.
Bjerregaard Schlüter: Die digitale Medienwelt entwickelt sich sehr schnell. Sie können niemanden verpflichten, sich Clubhouse herunterzuladen und abends Sascha Lobo zu hören. Wie geht eine so große Organisation mit dem Wandel um?
Schönenborn: Mittlerweile ist mehr als die Hälfte unserer Fortbildungsangebote auf digitale Fragen konzentriert. Valerie Weber und ich sind in einem kleinen Führungskräftekreis vor fünf Jahren nach New York und Kalifornien gefahren und haben uns dort in einem intensiven Programm mit Start-ups und etablierten Internetunternehmen, alten Medienunternehmen und KI-Firmen auseinandergesetzt. Das war für uns großartig und hat wirklich unseren Horizont erweitert. Aber wir haben es auch gemacht, um im Haus darüber zu sprechen und daraus dann unsere strategischen Schlüsse für die verschiedenen Verbreitungswege zu ziehen.
Weber: Es ist wichtig, Partnerschaften zu suchen und sich zu vernetzen. Man sollte nicht nur an dem eigenen Geschäftsfeld festhalten, sondern immer auch suchen: Was gibt es in meinem Umfeld? Gibt es ähnliche Angebote? Wie kann ich mich vielleicht geschickt vernetzen?
Die öffentlich-rechtlichen Systeme haben eine gewisse Geschlossenheit mit eigenen Qualitätsvorgaben, da ist es ein großer Schritt über eine „imaginäre“ Grenze. Dennoch ist es jetzt so dringend wie nie, sich fachlich zu erweitern. Eine unserer internen Maßnahmen ist es darum, Führungskräfte in Rotation zu bringen. Innerhalb einer Landesrundfunkanstalt gibt es viel kluges Wissen, aber man ist meistens untereinander nicht so gut vernetzt. Bei uns gibt es kaum Fluktuation, umso wichtiger ist es, dass Mitarbeiter*innen nicht die ganze Zeit in ihrem Bereich bleiben. Das öffnet einfach den Geist und schafft Verständnis sowie Wissen.
Bjerregaard Schlüter: Gib es auch so etwas wie Patenprogramme?
Weber: Ja! Wir hatten ein Mentorenprogramm für die Geschäftsleitung. Ich war bei einem Kollegen und habe den Abend damit verbracht, mir Gaming mit seinen Freunden anzuschauen und zu verstehen, wie dort kommuniziert wird. Das ganze Thema Gaming ist so ein Boom und ich bin einfach kein Teil dieser Community, also muss ich versuchen, es zu verstehen. Und so hat mich mein Mentor sozusagen einfach mitgenommen. Das war augen- und ohrenöffnend.
Bjerregaard Schlüter: Was sind die größten Herausforderungen für das Führen in den kommenden drei Jahren?
Schönenborn: Ich glaube, die ganz große Herausforderung für Führungskräfte ist, aktiv und bewusst damit umzugehen, dass man vielen Herausforderungen nicht gerecht werden kann. So muss man ganz bewusst entscheiden, welchen Teil einer Aufgabe man wahrnimmt und auf welchen man verzichtet. Das gilt einerseits für das fachliche Führen. Ich kann mich den ganzen Tag digital bilden und trotzdem überholt mich die Welt, weil dann keine Zeit für meine täglichen Aufgaben bleibt.
Das gilt andererseits aber auch für die interne Kommunikation. Wir haben vor einer Weile unser Führungskräfte-Feedback-Verfahren standardisiert. Mein erster Eindruck dabei ist, dass auch hier das Thema interne Kommunikation – welches Feedback bekomme ich – extrem von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eingefordert wird. Eine weitere Herausforderung sind die Ziele, die strategisch im Wandel gesetzt werden.
Weber: Für mich ist die größte Herausforderung die doppelhändige Führung. Eine Führungsperson muss zeitgleich zwei Managementformen anwenden. Wenn sie als Publisher lineare und digitale Produkte herausgeben, stehen sie vor der Aufgabe, dass sie neuen Angeboten quasi dem ungeborenen Leben eine Chance geben müssen. Sie sollen innovativ und experimentell sein. Auf der anderen Seite müssen wir als Führungskräfte sehr genau auf die Qualitätssicherung achten, dass wir dort nicht nachlassen, dass wir auf höchstem Niveau weiter im Linearen produzieren und gleichzeitig die technologische Entwicklung sukzessive langsam einbinden.
Schönenborn: Der digitale Wandel ist insgesamt eine enorme Herausforderung für alle Führungskräfte. Auf absehbare Zeit wird es mehr Aufgaben geben, als man auch bei großer Anstrengung bewältigen kann. Das ist Kennzeichen dieses Wandels. Wir müssen dann aber auch unsere Schlüsse daraus ziehen, Aufgaben delegieren und lernen, an manchen Stellen zu verzichten, also aktiv und bewusst Entscheidungen des Lassens zu treffen. Wir haben das Prinzip etabliert, dass wir Produkte mit beschränkter Lebenszeit lizenzieren und überprüfen. Trotzdem ist es oft der Impuls, lieber weiterzumachen und zu argumentieren, ob man das Produkt nicht doch weiterführt. Das ist auch völlig natürlich, weil der Werkstolz das gebietet, und Kolleginnen und Kollegen an ihren Programmen oft auch hängen. Aber zu verstehen, dass das Einstellen eines Angebots ganz normal dazu gehört und auch ein Zeichen von Stärke sein kann, das ist, glaube ich, etwas, was wir noch etablieren müssen.
Bjerregaard Schlüter: Haben Sie schon beim WDR eine Planung für eine hybride ‘nach Corona Welt’, oder lassen sie es auf sich zukommen?
Weber: Wir führen gerade Gespräche mit den Hauptabteilungsleiter*innen über die Frage, welche dieser New-Work-Methodiken jetzt ausschließlich der Pandemie geschuldet sind und welche so sinnvoll sind, dass wir sie unbedingt behalten wollen? Wir haben erkannt, dass es sehr große Vorteile durch Führen mit Video-Konferenzen gibt. Manches ist dadurch sogar viel effektiver geworden. Sie sparen Zeit. Keiner macht zu viel, keiner entmutet sich unnötig, sondern man versucht möglichst schnell durch das Meeting zu kommen.
Innovationsprozesse, die in der Regel aus der zufälligen Begegnung ihren Impuls bekommen, finden soweit nicht mehr statt oder nur sehr selten. So ergeben sich neue Fragen: Wie können wir dem Zufall nachhelfen, trotz dieses Führens auf Distanz? Und wie können wir zufällige Begegnungen und neue Impulse tatsächlich in unseren Arbeitsalltag verinnerlichen, für den Fall, dass wir bei dem hybriden Arbeiten bleiben?
Dies bedeutet, dass zum Beispiel Büros eine ganz andere Rolle bekommen. Das Büro wird wahrscheinlich künftig mehr Begegnungsstätte werden für Auseinandersetzungen, für Brainstormings, für das Zusammenwirken. Und nicht mehr so sehr diese Ein- oder Zweiraumbüros, wo man seiner Arbeit nachgeht, was man genauso gut zu Hause machen könnte, vielleicht sogar ungestörter. Aber da müssen wir zunächst die Pandemie und deren Bedingungen überstehen und gut improvisieren, um den Sendebetrieb des WDR aufrechtzuhalten.
Die Frage ist: Was wollen wir behalten und welche Defizite sind daraus entstanden, ohne dass wir es gemerkt haben. Ich bin davon überzeugt, dass wir uns das ganze erste halbe Jahr als wahnsinnig kreativ empfunden haben, aber vor allem haben wir improvisiert. Richtige Innovationen sind ja nochmals etwas anderes. Da müssten wir uns für den wirklichen Arbeitsalltag überlegen, wie wir das wieder implementieren.
Schönenborn: Ja! Vielleicht einen Satz noch: Ich glaube, wir werden den Hebel ein ganzes Stück von Kontrolle zu Vertrauen umlegen müssen.